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Städtebau zwischen Rationalität und Eigensinn
Die Entwicklung der Marktgemeinde Lauterach ist repräsentativ für viele europäische Siedlungen in wirtschaftlich prosperierenden Verdichtungsräumen. Aus dem ursprünglich räumlich klar von anderen Siedlungsbereichen abgegrenzten Dorf und später größeren Marktgemeinde, wird ein Teil eines großen Gemeindegrenzen überschreitenden Siedlungsraumes. Ortschaften fließen in einander, Gemeindegrenzen sind an der Siedlungsstruktur nicht mehr wahrzunehmen. Der Urban Sprawl verwischt originäre Strukturen. Aus der Vielfalt vieler einzelner Dörfer und Ortschaften entstehen Situationen, die Gefahr laufen in Anonymität und Austauschbarkeit abzugleiten. Ein Verlust an Identität und Gefühl der örtlichen Zugehörigkeit ist die Folge. Die gefestigte Identität ist jedoch die Voraussetzung für den Grundgedanken der europäischen Einheit. Erst die Abgrenzung und das Erkennen des Eigenen ermöglicht den Sprung über die Grenze.
Unterstützt wurde diese Entwicklung insbesondere in den 70iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Städtebau war gerade in (ursprünglich) ländlichen Regionen oft monorational auf die Optimierung und Förderung des motorisierten Straßenverkehrs ausgelegt. Dies führte in der Folge dazu, dass wir landauf-landab ähnlichen Strukturen begegnen. Lauterach ist dafür bestes Beispiel. Es zeigt aber auch ganz klar auf, dass diese Art des Städtebaus letztendlich gescheitert ist. In mehr als 30 Jahren ist es nicht gelungen, die L190 zwischen Kirche und Altem Markt in das Dorfgefüge zu integrieren. Lauterach ist dabei jedoch nur ein Beispiel von vielen. Gesichtlose Straßendörfer entlang von stark frequentierten hochrangigen Straßen sind keine Seltenheit. Der motorisierte Straßenverkehr als maßgebendes Kriterium, verlangt eben überall die selben Kurvenradien, Straßenbreiten, etc. .
Der primäre Fehler der damaligen Planung besteht jedoch nicht darin, dass alles auf den motorisierten Straßenverkehr ausgerichtet wurde. Es wird die Auffassung vertreten, dass der eigentliche Fehler darin zu sehen ist, dass nicht auf die Identität des Ortes eingegangen wurde. Ortsfremde Strukturen wurden zur obersten Planungsmaxime. Vorhandene Eigenheiten, die dem Ort seine typische Prägung gaben, wurden vollständig ignoriert, eine eingehende Auseinandersetzung mit der bestehenden Situation fand nicht statt.
Solche Vorgehensweisen sind mitunter auch heute noch festzustellen. Zwar ist nicht mehr die autogerechte Stadt das oberste Planungsziel und mögen auch die Werkzeuge und technischen Hilfsmittel viel bessere sein, der bloßen und unreflektierten Anwendung von städtebaulichen Trends begegnen wir auch heute noch. Und genau hier gilt es anzusetzen. Es muss (wieder) eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Ort stattfinden. Was sind die typischen Merkmale eines Ortes? Wo befinden sich die Eigenheiten, was ist der Eigensinn einer Situation?
„Es ist nichts mit diesen ´Standpunkten´, sie mögen heißen, wie sie wollen, und sie mögen von den fettesten Professoren vertreten werden. Sie sind alle Glatteis. Wir sind weder Rechenmaschinen noch sonstwelche Mechanismen. Wir sind Menschen. Und für den Menschen gibt es nur einen natürlichen Standpunkt, nur einen natürlichen Maßstab. Es ist der des Eigensinnigen“
(Hermann Hesse).Rationale Planungen und Planungen, die auf den Eigensinn reagieren, stellen jedoch nicht zwingende Widersprüche dar. Es besteht jedoch ein wichtiger Unterschied. Zwischen rationalem und eigensinnigem Städtebau besteht ein ähnlicher Unterschied wie zwischen dem Nützlichen und dem Guten. In vielen Fällen wird der Unterschied nicht groß sein, gelegentlich aber beträchtlich. Nicht alles was nützlich ist, ist auch gut. Die primäre Aufgabe des Städtebaus ist somit nicht den Nutzen zu optimieren, vielmehr hat er sich die Frage zu stellen, inwieweit er dem Eigensinn der Stadt, der Gemeinde, des Dorfes entspricht. Das Erkennen und Akzeptieren des Eigensinns als ein Aspekt der Identität, nach dem individuelle Präferenzen geformt und ausgestaltet werden, muss zum Mittelpunkt jeder städtebaulichen Arbeit werden.